Mindestsätze der HOAI dürfen zwischen Privaten weiter angewendet werden!

(EuGH v. 18.01.2022 Rs. C-261/20)

Sachverhalt 


Im Jahr 2016 kam es zwischen einer Immobiliengesellschaft und einem Ingenieur zum Vertragsabschluss über einen Ingenieurvertrag. Das Ingenieurbüro verpflichtete sich dabei die anfallenden Leistungen nach der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen vom 10. Juli 2013 (HOAI 2013) zu erbringen. 


Als Honorar wurde die Zahlung eines Pauschalhonorars in Höhe von 55.025 Euro vereinbart. Mit der späteren Honorarschlussrechnung rechnet der Ingenieur unter Verweis auf § 7 HOAI 2013 - entgegen der vereinbarten Pauschale - den sog. Mindestsatz i.H.v. 102.934,59 Euro gegenüber dem Auftraggeber ab, d. h. einen wesentlich höheren Betrag als zwischen den Parteien ursprünglich vereinbart. 


In erster und zweiter Instanz (OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019 - 21 U 24/18

LG Essen, 28.12.2017 - 6 O 351/17) wird das geltend gemachte Honorar dem Planer zugesprochen. 


Dagegen legt der Auftraggeber Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) ein. Der BGH legte die Angelegenheit daraufhin dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor zu einer sog. Vorabentscheidung über die Frage, ob nationale Gerichte bei der Entscheidung über die Begründetheit der vorliegenden Klage nationale Vorschriften (hier: § 7 HOAI 2013), welche europäischen Richtlinien widersprechen (so bereits EuGH zu § 7 HOAI 2013 mit Urteil v. 04.07.2019, Rs. C-377/17) anwenden dürfen oder nicht.

Rechtsanwälte Augsburg für Mietrecht und Baurecht

Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof hat dazu aktuell am 18.01.2022 entschieden, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet sei, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen. Die nationalen Gerichte seien grundsätzlich verpflichtet, wegen des Vorrangs des Unionsrechts, europarechtswidrige Bestimmungen des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis heraus nicht anzuwenden. Etwas Anderes gelte nur, wenn die europarechtlichen Vorgaben keine unmittelbare Wirkung hätten. Dies sei vorliegend nicht anzunehmen. 


Allerdings würde die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie im Ausgangsrechtsstreit dem Kläger das Recht nehmen, ein Honorar in der Höhe einzufordern, die dem in den fraglichen nationalen Vorschriften vorgesehenen Mindestsatz entspricht. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs schließe aus, dass dieser Bestimmung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits zwischen Privaten eine solche Wirkung zuerkannt werden könne.

Praxistipp


Es ist nunmehr Sache des BGH über den Rechtsstreit abschließend im Einklang mit der Entscheidung des EuGHs zu entscheiden. 


Zu erwarten ist, dass der BGH die Revision des Auftraggebers nun endgültig zurückweisen wird und das Ingenieurbüro das aufgestockte (Mindestsatz-) Honorar über der vereinbarten Pauschale zur Zahlung erhalten wird. 


Erst diese künftige Entscheidung des BGH zur Sache bindet sodann in gleicher Weise auch sämtliche anderen nationalen Gerichte, die mit entsprechenden sog. Aufstockungsklagen befasst sind. Die Entscheidung besitzt großer (honorartechnische) Bedeutung, da die Thematik von Honorarvereinbarung unter dem Mindestsatz wohl in nahezu jedem Planungsbüro eine Rolle spielt.


Für Planer und Planerinnen bedeutet dies, dass eine Bindung an eine vereinbarte Honorarpauschale in Höhe unterhalb der Mindestsatzregelung der HOAI 2013, in der Regel aufgrund deren Unwirksamkeit gem. § 7 HOAI 2013 nicht gegeben ist. 


Das zustehende Honorar kann daher regelmäßig von Planerseite – entgegen einer nur vermeintlich wirksam getroffenen Honorarpauschalvereinbarung – bis zur Höhe des Mindestsatzes nach oben korrigiert und eingefordert werden. Bezahlt der Auftraggeber dieses nach oben abgerechnete Mindestsatzhonorar des Planers nicht, kann das zustehende Mindestsatzhonorar im Wege der sog. Aufstockungsklage in aller Regel weiterhin durchgesetzt werden. Diese Rechtslage gilt hinsichtlich sämtlichen Planerverträgen, die bis 31. 12. 2020 abgeschlossen worden sind (= sog. „Altfälle“ mit Vertragsschluss vor 2021).


Hinsichtlich Planerverträgen, die ab dem 01.01.2021 geschlossen wurden, gilt ausschließlich die neue HOAI 2021, mit welcher der Verordnungsgeber den verbindlichen Preisrahmen für alle ab dem 01.01.2021 geschlossenen Verträge abgeschafft hat.


Auftraggebern, die aufgrund dieser neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei Vertragsabschlüssen bis 31.12.2020 nun ein über der ursprünglich vereinbarten Honorarpauschale, höher-liegendes (Aufstockungs-) Honorar bezahlen müssen, soll nach den weiteren Ausführungen in dem genannten EuGH-Urteil unter Umständen sodann als Ausgleich ein Schadenersatzanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland zu stehen. Dies aufgrund der seit vielen Jahren nicht rechtzeitig erfolgter Anpassungen bzw. Neugestaltung der HOAI-Mindestsatzregelung durch die BRD entgegen seit zwingender europarechtlicher Vorschriften (die Umsetzungsfrist der Dienstleistungsrichtlinie endete für die BRD insoweit bereits am 28.12.2009). Auch diese Frage, ob der Auftraggeber die Differenz zwischen der ursprünglich vereinbart gewesenen Pauschale und dem nun nachträglich zu bezahlenden Mindestsatz tatsächlich als Schadensersatz von der BRD verlangt und durchgesetzt werden kann, bleibt für die Zukunft wiederum spannend!


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Autor: Rechtsanwalt Thomas Schmitt, ist Partner der Kanzlei JuS Rechtsanwälte, Augsburg (www.jus-kanzlei.de). Er ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Schlichter nach SOBau des Deutschen Anwaltverein (DAV). Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren vornehmlich mit sämtlichen rechtlichen Fragen des Bau- und Architektenrechts sowie Grundstücks- und Immobilienrechts. Zudem ist Herr Rechtsanwalt Schmitt Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltsvereins (ARGE BauR).

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Thomas Schmitt