„Ärztepfusch setzt voraus, dass der Arzt seinen Patienten vorsätzlich schädigen wolle. Davon kann keine Rede sein“. Mit diesen Worten wehrt sich Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Deutschen Ärztekammer gegen die Vorwürfe von Patienten, die im Rahmen der neuen Veröffentlichung der AOK zu Behandlungsfehlern im Krankenhaus erhoben werden.
Die Zahlen, die die AOK in ihrem Krankenhausreport 2014 veröffentlichen müssen uns tatsächlich verwundern. Bei einem Prozent aller Klinikfälle würden Behandlungsfehler zu Komplikationen führen. Die Zahl die dahinter steht: ca. 190.000 Fälle. Bei jedem tausendsten Behandlungsfall würde ein solcher Behandlungsfehler sogar den Tod des Patienten zur Folge haben. Das sind 19.000 Todesfälle die vermeidbar gewesen wären. Die AOK hat dazu keine neuen Zahlen erhoben, sondern bezieht sich auf Untersuchungen und Statistiken aus dem Jahr 2012.
Vergleichen wir diese schockierenden Zahlen mit den Angaben der Gutachterstellen der Ärztekammern. Hier wird von 12.282 gestellten Anträgen auf Begutachtung im Jahr 2012 gesprochen, einer Zahl, die in den Schätzungen der Haftpflichtversicherer bereits eingeht. Diese geben ca. 40.000 Haftpflichtfälle an. Beide Zahlen beziehen sich, anders als die AOK Statistiken, sowohl auf ambulante als auch auf stationäre Behandlungsfehlervorwürfe.
Wie ist mit den anderen mehr als 150.000 Behandlungsfehlern umgegangen worden?
Der Patient soll durch das Patientenrechtegesetz in der Durchsetzung seiner Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag gestärkt werden. Medizinisch muss der Patient den Behandelnden vertrauen. Ärzte behandeln nicht vorsätzlich falsch. Sie arbeiten unter Druck und Bedingungen, die häufig zu Lasten der Patienten gehen.
Bei der Diskussion um die Ursachen von Behandlungsfehlern wird vielfach auf eine unzureichende Qualität in den Krankenhäusern verwiesen. Die AOK will die Qualität gar an der Häufigkeit der vorgenommenen Eingriffe festmachen und die Spezialisierung der Krankenhäuser weiter vorantreiben. Die Zahlen die hierzu herangezogen werden, scheinen dies Argument zu unterstützen. Das Wido – das „Wissenschaftliche Institut der AOK“ – hat errechnet, dass Frühgeburten in Kliniken mit einer hohen Frühgeburtenrate, deutlich höhere Überlebenswahrscheinlichkeiten haben, als solche in kleineren Kliniken. In die gleiche Richtung deuten die Zahlen, die eine hohe Revisionsrate nach Hüft-TEPs in kleineren Krankenhäusern bescheinigen im Vergleich zu spezialisierten Kliniken.
Die Daten haben den Mangel, dass auch viele weitere Faktoren die die Patientensicherheit gewährleisten, nicht mit erfasst und in der Auswertung der Behandlungsfehlerstatistiken nicht berücksichtigt sind. Nicht nur die Anzahl der Eingriffe bürgt für Sicherheit, auch die Frage des Qualitätsmanagments rund um den Eingriff, in der Aufnahme, der Pflege, in der Nachsorge etc. sind maßgebliche Faktoren einer Behandlung ohne unerwünschte Folgen.
Qualitätsmanagement kostet die Krankenhäuser zunächst ein großes Umdenken. Dabei wird gerade in kleinen Häusern das Problem von Hinten aufgerollt: Zunächst wird ein „Kummerkasten“ für Patienten angebracht oder dem sozialen Dienst wird eine zusätzliche Aufgabe übertragen, nämlich der Dialog mit dem Patienten bei „Unsicherheiten und Beschwerden“. Auch in größeren Häusern wird ähnlich, wenn auch konsequenter vorgegangen: eine „Fehlerkultur“ soll durch eine offene Diskussion über Fehler zwischen den Ärzten, Pflegern und Patienten zu einer Veränderung im Verhalten führen.
Viele der Vorwürfe von Seiten der Patienten können damit wohl abgefedert werden. Anders sind die nicht verfolgten Behandlungsfehlervorwürfe kaum erklärbar
Die Fehlervermeidung und eine höhere Patientensicherheit sind damit jedoch nicht sichergestellt. Dabei kann eine Verbesserung der Behandlungsqualität durchaus mit einfachen Mitteln erreicht werden:
die Fehlerstatistik zeigt, dass Hygienemängel und Fehler in der Medikamentenverordnung und –verabreichung sehr häufig Gründe unerwünschter Folgen sind.
Dass eine mangelnde Hygiene noch eine der Hauptursachen bei Krankenhauskomplikationen ist, ist kaum nachvollziehbar. Man muss gespannt sein auf die neuen Erhebungen im Jahr 2013 und in diesem Jahr, bei denen sich die ersten Konsequenzen nach den Skandalen in den Frühgeborenenstationen der letzten beiden Jahre -hoffentlich- zeigen werden. Hygiene als selbstverständlichen Schulungs- und Weiterbildungsangebote in Krankenhäusern zu etablieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen ist ein Faktor, die konsequente Infektionsuntersuchung ein anderer. Schon die Aufnahmeuntersuchung eines Patienten sollte, wie es in den Niederlanden üblich ist, die Infektionssituation des Patienten mit erfassen. In deutschen Krankenhäusern ist der Fokus häufig sehr eingeschränkt. Erfahrungsgemäß werden vielfach nicht einmal Begleiterkrankungen, die eine Infektionsanfälligkeit bedingen könnten, dokumentiert. Eine klare Anweisung im Qualitätsmanagement kann hier Abhilfe schaffen und unerwünschte Effekte vermeiden.
Fehler in der Medikamentenverabreichung resultieren z.T. aus Patientenverwechslungen. Was spricht dagegen, den Patienten mit einem Armband zu versehen und sein Bett in einer leserlichen Schrift mit dem Patientennahmen zu versehen. So kann auch Hilfspersonal von anderen Stationen sicher sein, dass der vielleicht verwirrte Patient derjenige ist, den er versorgen soll.
Einfache Maßnahmen können vielfach in kleinen Schritten zu Verbesserungen führen. Aber die Vorschrift des Qualitätsmanagements allein kann genauso wenig eine Lösung sein. Arbeit unter ständigem Zeitdruck und Stress führt zu in gleicher Weise zu Fehlern wie fehlende Routine oder Organisation. Darum müssen auch die Arbeitsbedingungen der Behandelnden so gestaltet werden, dass sich ein Engagement für die Patienten lohnt.
Das Gesundheitsministerium propagiert jetzt ein Umdenken, das schon lange von kritischen Ärzten und jetzt auch von den Kostenträgern gefordert wird: die Genesungserfolge sollen finanziell bei den Krankenhäusern und Ärzten belohnt werden. Über neue gesetzgeberische Maßnahmen wird nachgedacht. Das wird nicht leicht fallen, denn mehr Geld wird nicht in das System fließen.
Der Patient läuft dabei Gefahr wieder zum Objekt einer wohlgemeinten Initiative zu werden, die in erster Linie nicht die Behandlungsbedingungen sondern die Geldflüsse regelt. Ob das den gewünschten Aspekt hinsichtlich einer besseren Patientensicherheit bringt, darf bezweifelt werden.
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Fachartikel "Behandlungsfehler- Ärztepfusch – Qualitätsmängel in der Medizin"