BGH-Urteil zum Unfallschaden: Schädiger trägt das Werkstattrisiko

Mit Urteil vom 16. Januar 2024 entschied der BGH in einem Aufwasch gleich über fünf verschiedene Fallkonstellationen alle samt zum Thema „Werkstattrisiko“ bei der Reparatur eines Haftpflichtschadens. Der hierfür zuständige sechste Zivilsenat des BGH befasste sich in unterschiedlichen Konstellationen vor allem zur Fragestellung, wer das Risiko trägt, wenn der Unfallverursacher/ Haftpflichtversicherer einwendet, die von der Werkstatt gestellte Rechnung sei überhöht (sogenanntes Werkstattrisiko):

Bisherige Rechtslage

Schon nach bisherige Rechtsprechung liegt hier das Werkstattrisiko grundsätzlich beim Schädiger/ dem Haftpflichtversicherer. Wenn nun also ein geschädigter Kunde sein Fahrzeug in eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung gibt, so sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis Geschädigter (= Kunde) zum Schädiger (=Unfallgegner bzw. dessen Haftpflichtversicherer) grundsätzlich erstattungsfähig. Dies gilt selbst dann, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen sind. Das einzige Mittel, das dem Versicherer dann zur Verfügung steht, ist die Möglichkeit vom Kunden/Geschädigten die Abtretung solcher unwirtschaftlichen Forderungen zu verlangen und anschließend gegenüber dem unredlichen Betrieb zu regressieren.

 

Neue BGH - Rechtsprechung

Mit dem nunmehr ergangenen Urteil stellt der BGH klar, dass dieses Werkstattrisiko nicht nur für Rechnungspositionen greift, die ohne Schuld des geschädigten Kunden z.B. wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Ansätze von Material oder Arbeitszeit überhöht sind. Vielmehr kann der Geschädigte auch, sofern nicht erkennbar, tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen vom Versicherer verlangen. Denn der Geschädigte hat im Zeitpunkt der Beauftragung der Reparatur keine weitere Kontrollmöglichkeit/Einflussnahme auf den Weg der Reparatur, (Az. VI ZR 253/22.) Weiter, so der BGH (Az. VI ZR 51/23), darf der Geschädigte auch darauf vertrauen, dass eine Werkstatt grundsätzlich keinen unwirtschaftlichen Weg für eine Schadensbeseitigung wählt. Auch die Fallkonstellation des „Schadenservice aus einer Hand“, wenn also die Werkstatt dem Kunden einen Sachverständigen empfiehlt, führt dies nicht dazu, dass der Geschädigte eine besondere Überwachungsfunktion hinsichtlich der durchzuführenden Reparatur übernehmen muss. Auch er kann sich schlicht auf das Werksattrisiko berufen. Zudem ist für die Frage der Kostenerstattung auch nicht maßgeblich, so stellt der BGH nun klar (Az. VI ZR 253/22, Az.VI ZR 266/22, Az. VI ZR 51/23), ob der Geschädigte die Rechnung im Autohaus bereits bezahlt hat oder nicht. Wenn er sich allerdings auf die Vorteile des Werkstattrisikos berufen will, so muss er dann die Zahlung der in Streit stehenden Reparaturkosten im Falle einer Klage nicht an sich, sondern an das Autohaus verlangen. Schließlich stellte der BGH nunmehr fest (Az. VI ZR 38/22, Az. VI ZR 239/22), dass sich die Option des Geschädigten, sich auch bei einer unbeglichenen Rechnung auf das Werkstattrisiko zu berufen, nicht im Wege der Abtretung auf Dritte übertragen lässt. Wenn der Geschädigte also seine Rechnung noch nicht beglichen hat, ist es nicht sinnvoll, dass die Werkstatt die Kundenrechnung aus abgetretenem Recht klageweise geltend macht. Der Schädiger/Versicherer hat insoweit einen schützenswerten Anspruch darauf, dass der Geschädigte sein Gläubiger bleibt. Denn nur so kann der Versicherer im Wege des Vorteilsausgleichs etwaige Schadensersatzansprüche, die der Geschädigte gegenüber einer Werkstatt hat, die nicht korrekt abrechnet, an sich abtreten lassen und dann bei der Werkstatt geltend machen.

 

Für die Praxis gilt also:

Eine redlich agierende Werkstatt, die nicht mehr abrechnet, als das, was schadensbedingt auch tatsächlich erforderlich ist, hat weiterhin nichts zu befürchten. Der Geschädigte darf sich weiterhin darauf verlassen, dass ihn seine Werkstatt nicht „abzockt“. Schön ist in diesem Zusammenhang auch die Klarstellung des BGH, dass der seitens der Versicherungswirtschaft gern erhobene Generalsverdacht, im Falle eines „Schadensservices aus einer Hand“ könne sich der Geschädigte nicht auf das Werkstattrisiko berufen, nicht weiter haltbar ist. Dem Versicherer bleibt durch den Regress die Möglichkeit erhalten, unlauter arbeitende Betriebe in Anspruch zu nehmen.

 

Prozesstaktik:

In prozesstaktischer Hinsicht ist es sinnvoll, dass der Geschädigte die Klage in eigenen Namen geltend macht und im Falle einer nicht bezahlten Rechnung der Antrag so gestellt wird, dass der in Streit stehende Rechnungsbetrag an die Werkstatt bezahlt wird. Sollte eine Werkstatt dann tatsächlich unredlicher Weise zu viel oder gar nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte oder -maßnahmen abgerechnet haben, so hat die Zahlung des Versicherers Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger nichtberechtigter Forderungen zu erfolgen. Das Modell, wonach die Werkstatt in eigenen Namen aus abgetretenem Recht einen Anspruch des Kunden geltend macht dürfte somit der Vergangenheit angehören. – Jeder redlich agierenden Werkstatt, die nicht mehr repariert, als dass schadensbedingt auch tatsächlich erforderlich – und im besten Fall auch genauso im Gutachten aufgeführt ist – wird durch dieses Urteil also der Rücken gestärkt.

 

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