Automobil & Verkehr

BGH zur Prüfungspflicht eines Kraftfahrzeugvertragshändlers bei Bestellung und Weitergabe von Ersatzschlüsseln

Mit Urteil vom 28 März 2023, Az. VI ZR 19/22 stellt der BGH ausdrücklich fest, dass bei einer Bestellung eines Fahrzeugschlüssels eine gesonderte Prüfung der Berechtigung des Bestellers zwingend erforderlich sei, dies gelte insbesondere auch, wenn die Bestellung über einen NORA-Händlerkunden erfolge, zudem eine langjährige lang jährige Vertragsbeziehung herrsche.

Im Einzelnen:

In dem streitgegenständlichen Verfahren machte ein Kaskoversicherer Schadensersatzansprüche gegenüber einem Kfz Vertragshändler geltend, auf Ersatz von Versicherungsleistungen für gestohlene Kraftfahrzeuge

Die Klägerin (Kaskoversicherer) versicherte diverse Kraftfahrzeuge gegen Diebstahl. In den Jahren 2015 und 2016 wurden vier der bei ihr versicherten Fahrzeuge gestohlen. Dabei setzten die Diebe echte Ersatzschlüssel ein, die von der Beklagten Kfz Vertragshändlerin bestellt und dann an deren Kunden, ein Unternehmen in Litauen, weitergegeben worden waren. Bei diesem Kunden handelt es sich um ein sogenannter NORA-Kunden („Nicht organisationsgebundene rabattbegünstigter Abnehmer“ von Originalteilen). Um diesen Status zu erreichen, muss ein Unternehmen einen Werkstattbetrieb nachweisen, der nicht Servicepartner der Vertriebsorganisation des hier maßgeblichen Pkw-Konzerns sein darf, also entweder eine nicht markengebundene Werkstatt oder eine Markenwerkstatt eines anderen Fahrzeugherstellers ist.

Für die Schlüsselbestellung teilte dieser Kunde den Mitarbeitern des Beklagten Kfz Vertragshändlers lediglich die Fahrzeuge-Identifizierungsnummer (FIN) zu den jeweiligen Fahrzeugen mit. Eine weitere Prüfung der Berechtigung der Bestellung bzw. der Frage, ob sich der Veranlasser der Bestellung im Besitz des jeweiligen Fahrzeugs befindet, erfolgte nicht. Insbesondere wurde keine Legitimation in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen verlangt.

 

Fehlende Prüfung der Legitimation

Seitens des Herstellers lag dem Kfz-Vertragshändler eine Empfehlung vor, wonach bei fehlenden und defekten Fahrzeugschlüsseln für die Beschaffung eines Ersatzschlüssels im Auftrag eines Kunden die Dokumentation mittels „Nachweiskarte“ geführt werden soll, um Missbrauch zu verhindern. Diese Nachweiskarte fordert neben der Angabe der FIN unter anderem einen Fahrzeugbesitznachweis i.V.m. einer Legitimation (Pass/Ausweis), wenn der Kunde nicht persönlich bekannt ist, und trägt eine Bestätigung durch Unterschrift sowie bei Verlust/Diebstahl des Altschlüssels die Information der Polizei und oder seiner Versicherung an. Dieser Empfehlung war der beklagte Kfz-Vertragshändler nicht nachgekommen.

 

Schadensersatzforderung der Versicherung gegenüber Händler

Die Versicherung behauptete nunmehr, der Schlüssel sei von dem Kunden der Beklagten Kfz-Vertragshändlerin, dem NORA Kunden aus Litauen, an Diebe gelangt, welche die Fahrzeuge hiermit problemlos geöffnet und entwendet hätten. Sie ist der Auffassung, der Kfz Vertragshändler hätte die Nachbestellung von Ersatzschlüssel lediglich gegen eindeutige Berechtigungsnachweise, etwa in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen, abwickeln dürfen. Sie begehrte daher Ersatz der von ihr regulierten Versicherungsentschädigung in Höhe von rund 60.000 €.

Dieser Anspruch wurde er vom Landgericht zugesprochen, der BGH bestätigte nunmehr die Entscheidung.

 

Prüfpflichten des Händlers

Nach Auffassung des BGH sind die Fahrzeugdiebstähle dem Kfz Vertragshändler vorwerfbar zuzurechnen, da er es unterlassen hat, die Berechtigung des Bestellers zu überprüfen. Da die Beklagte als Vertragspartner des Herstellers die Möglichkeit habe, Fahrzeugersatzschlüssel zu besorgen und in den Verkehr zu bringen, folge hieraus eine gesteigerte Verantwortung und damit eine besondere Prüfpflicht. Die vom Hersteller ausgesprochene Empfehlung zur Vorgehensweise zeige, dass auch der Hersteller ganz offensichtlich eine gesteigerte Missbrauchsmöglichkeit bei Fahrzeugersatzschlüssel sehe. Der Beklagten als Fachwerkstatt müsse bekannt sein, so der BGH, dass die FIN von Nichtberechtigten relativ leicht in Erfahrung gebracht werden könne, und von ihr daher als Berechtigungsnachweis nicht akzeptiert werden dürfe. Die Prüfung der Bestellberechtigung sei dem Beklagten Kfz Vertragshändler sowohl möglich als auch zumutbar gewesen. Selbst wenn es Aufgabe des Kunden des beklagten Kfz-Vertragshändlers gewesen wäre, die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Ersatzschlüsselbeschaffung zu prüfen, hätte dies den Beklagten Händler nicht von seiner eigenen Prüfpflicht entbunden. Zwar könne durch das Erfordernis der Ausweisvorlage die Tatausführung nicht in jedem Fall verhindert werden, aber jedenfalls doch erheblich erschwert werden, da so das Risiko und der Aufwand der Entdeckung größer sind. Der Beklagten sei zumindest anzulasten, dass Sie sich bezüglich der Möglichkeiten einer Identifizierung und Überprüfung bei Ersatzschlüsselbestellung aus Litauen nicht erkundigt habe. Dies gelte auch, trotz des Diebstahls der Fahrzeuge durch Dritte, da die Beklagte durch die ungeprüfte Versendung der Ersatzschlüssel die erste Ursache gesetzt und die dadurch begründete Gefahrenlage die gerade im nachfolgenden Diebstahl ausgewirkt habe.

Da die bestellende Werkstatt als NORA-Kundin für die Ersatzschlüsselbeschaffung nicht den direkten Weg zum Hersteller möglich sei, sondern die Beklagte damit beauftragte, musste diese als verständige, umsichtige, vorsichtige und gewissenhafte Vertragshändlerin mit der Befugnis zur Ersatzschlüsselbeschaffung im Bewusstsein der Missbrauchs und Diebstahlsgefahr auch gegenüber dieser Kundin dieselben Vorsichtsmaßnahmen, wie gegenüber jedem Nachbestellung Kunden walten lassen, selbst wenn dies die Vereinbarung der Vertriebsorganisation nicht explizit vorgesehen haben sollten und die bisherigen stichprobenartige Überprüfungen der NORA -Kundin, die sich auf den Einbau gelieferte Ersatzteile bezogen habe, keine Hinweise auf Organisationslücken oder Unregelmäßigkeiten ergeben haben sollten. Das Verhalten ihrer Mitarbeiter sei dem Beklagten zuzurechnen, da erals Arbeitgeber die Verantwortung für die Organisation der Betriebsabläufe trage und es ihm oblegen habe, konkrete Vorgaben zu Überprüfung der Berechtigung des Bestellers auch in Bezug auf NORA-Händler zu machen, sowie die Einhaltung dieser Vorgaben zu überwachen.

 

Fazit

Dass bei der Bestellung von Ersatzschlüsseln gegenüber „normalen“ Kunden besonders sorgfältig deren Berechtigung geprüft werden muss, ist-so unsere Erfahrungen- den Betrieben wohl bewusst. Dass dieser strenge Sorgfaltsmaßstab auch dann gilt, wenn der Schlüssel durch eine, markengebundene Werkstatt oder einer Markenwerkstatt eines anderen Fahrzeugherstellers bestellt wird, zu der eine langjährige Vertragsbeziehung besteht, zeigt diese Entscheidung. Auch gegenüber solchen Kunden sollte eine Prüfung der Legitimation erfolgen, insbesondere eine konkrete Handlungsanweisung für die Mitarbeiter des Betriebs, um Missbrauch – und letztlich hieraus resultierende Schadensersatzansprüche – zu verhindern.

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