Gelegentlich müssen wir von uns geführten Arbeitsgerichtsverfahren vom Bundesarbeits-gericht entscheiden lassen. So konnte unsere Kanzlei eine Entscheidung dieses Bundes-arbeitsgerichts erwirken, die wichtige Rechtsfragen rund um eine Kündigung wegen Alkoholsucht klärte. In seinem jetzt auch mit Urteilsgründen auf der Website des Bundesarbeitsgerichts in der Rubrik „Entscheidungen“ veröffentlichten Urteil vom 20.03.2014 mit dem Aktenzeichen 2 AZR 565/12 gab das Bundesarbeitsgericht aktuell wichtige Hinweise zum Thema.
Sachverhalt:
Wir waren Prozessbevollmächtigte eines Entsorgungsunternehmens für Abbruchschrott aus Metall. Den Hofarbeitern obliegt es, angelieferten Schrott zu sortieren, zu reinigen und zu entsorgen. Dabei kommen verschiedene führerscheinpflichtige Flurförderfahrzeuge zum Einsatz wie Gabelstapler, Lader und Bagger. 2009 führte das Unternehmen ein striktes Alkoholverbot ein und gab auf ihrem gesamten Firmengelände die Geltung der StVO vor. Anfang 2010 wurde der betroffene Arbeitnehmer stark alkoholisiert am Arbeitsplatz angetroffen und gekündigt. Als er jedoch im nachfolgenden Kündigungsprozess geltend machte, alkoholkrank zu sein, nahm die Firma die Kündigungen zurück und mahnte das Fehlverhalten ab. Im Mai 2010 begann dieser Mitarbeiter eine Entziehungskur, die er Anfang Juli 2010 jedoch abbrach. In den Monaten Juli bis September 2010 führte der Arbeitgeber beim Mitarbeiter mit dessen Einverständnis regelmäßig Tests auf Alkohol im Atem durch. Eine entsprechende Kontrolle Ende August 2010 ergab einen Wert von 1,81 Promille. Bei weiteren Tests im September 2010 wurden Alkoholkonzentrationen von 0,6, 0,16 bzw. 0,52 Promille festgestellt. Mitte März 2011 forderte der Arbeitgeber ihren Mitarbeiter auf, bis Ende des Monats verbindliche Unterlagen „bezüglich Art und Zeitraum einer Entziehungskur in nächster Zukunft" sowie über die Gültigkeit seines „tschechischen Führerscheins" vorzulegen. Der Kläger brachte keine Unterlagen über eine weitere Behandlung bei. Die zuständige Behörde teilte mit, dass die Fahrerlaubnis in Deutschland keine Gültigkeit habe. Daraufhin erfolgte Anfang April 2011 die ordentliche Kündigung.
Entscheidungsgrundlagen:
Das Bundesarbeitsgericht hat die Kündigung als sozial gerechtfertigt bestätigt. Die Revision des Arbeitnehmers gegen das seine Kündigungsschutzklage abweisende Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts München hat es zurückgewiesen. Das Gericht hat im angegebenen Revisionsurteil folgende allgemein maßgebliche Orientierungssätze aufgestellt:
"1. Eine Kündigung kann durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt sein, wenn im Kündigungszeitpunkt die Prognose gerechtfertigt ist, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholerkrankung dauerhaft nicht die Gewähr, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen. Für die anzustellende Prognose kommt es entscheidend darauf an, ob die Bereitschaft des Arbeitnehmers besteht, eine Entziehungskur oder Therapie durchzuführen. Lehnt er dies ab, kann in aller Regel davon ausgegangen werden, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird.
2. Eine Alkoholerkrankung berechtigt den Arbeitgeber nicht nur dann zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses, wenn sie mit beträchtlichen Fehlzeiten des Arbeitnehmers einhergeht. Eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen kann sich auch daraus ergeben, dass die Verrichtung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit mit einer beachtlichen Selbst- und Fremdgefährdung des Arbeitnehmers oder dritter Personen verbunden ist und der Arbeitnehmer mangels Fähigkeit zur Alkoholabstinenz nicht die erforderliche Gewähr dafür bietet, bei seiner Arbeitsleistung einschlägige Unfallverhütungsvorschriften ausnahmslos zu beachten.“
Entscheidend war im vorliegenden Fall, dass der betroffene Arbeitnehmer nicht gewillt war, seine Alkoholsucht in den Griff zu bekommen. Das Bundesarbeitsgericht ließ es genügen, dass mangels anderweitiger geeigneter Arbeitsplätze nicht erst konkrete Vorfälle oder Unfälle eingetreten sein mussten, sondern die erhebliche Selbst- und Fremdgefährdung anderer ausreichte. An sich wäre hier zur Beweislasterleichterung für anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) vor der Kündigung durchzuführen gewesen. Das geschah im entschiedenen Fall jedoch nicht. Dennoch führte ausführlicher Sachvortrag dazu, dass das Gericht ein BEM im Ergebnis als zwecklos betrachtete, da es ohne jegliche Erwartung eines positiven Ergebnisses gewesen wäre.
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Praxishinweise:
Zusammengefasst geben wir Ihnen als Personalentscheider folgende Praxistipps zum Umgang mit Suchterkrankungen am Arbeitsplatz vor einer deswegen beabsichtigten Kündigung:
1. Beschreiben Sie anhand , dokumentierte Vorfälle (hier alkoholbedingte Ausfälle mit Indizwirkung) wie Sie zu der Annahme einer „negative Zukunftsprognose“ kommen, wonach der/die Betroffene dauerhaft nicht in der Lage ist, die vertraglich geschuldete Leistung ordnungsgemäß zu erbringen.
2. Begegnen Sie Gefahren für die Wahrnehmungs- und Reaktionsmöglichkeit bei zu bedienenden Fahrzeugen und Maschinen zuvor durch geeignete Maßnahmen (striktes Alkoholverbot im Betrieb, Geltung der StVO auf dem Firmengelände, freiwillige Atemtests auf Alkohol etc.). Schildern Sie genau die Gefahren der Eigen- und Fremdgefährdung aufgrund der Sucht, denn dann sind konkrete Unfälle/Vorfälle nach der Rechtsprechung nicht abzuwarten und es reicht diese Gefahrenlage!
3. Verlangen Sie Maßnahmen gegenüber dem/der Betroffenen, die Sucht in den Griff zu bekommen, wie vor allem, sich einer Entziehungskur zu unterziehen bzw. die erfolgreiche Durchführung und Bereitschaft zu Entwöhnungsmaßnahmen nachzuweisen. Führen Sie dabei durch Abmahnungen (trotz fehlender Steuerung des Verhaltens aufgrund der Sucht) dem/der Betroffenen deutlich vor Augen, welche hohe Bedeutung die Abstinenz von Suchtmitteln für den Erhalt des Arbeitsplatzes hat.
4. Auch bei Suchterkrankungen ist ein BEM grundsätzlich durchzuführen! Es kann aber entbehrlich sein, wenn nachgewiesen werden kann, dass es nicht zu einem positiven Ergebnis geführt hätte. Dieser Nachweis ist aber im Prozess vom Arbeitgeber zu führen!
5. Prüfen Sie anderweitige Einsatzmöglichkeiten ohne Eigen- und Fremdgefährdungsrisiken und schließen Sie durch genaue Tatsachenschilderung eine Einsatzmöglichkeit aus. Dies kann entweder durch fehlende Arbeitsplätze oder durch fehlende Eignung des/der Betroffenen für diesen Arbeitsplatz geschehen.
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