Mit Rundschreiben vom 23.03.2020 hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat aktuelle Regelungen über den Umgang zu bauvertraglichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise bekannt gegeben. Das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr hat diese Regelungen für den gesamten Baubereich der Bayerischen Staatsbauverwaltung mit Rundschreiben vom 24.03.2020 übernommen.
Fortführung der Baumaßnahmen und Verpflichtung zur Vorsorge der Bauherren
Die Baustellen sollen danach weiter betrieben werden, wobei der Gesundheitsschutz auch auf den Baustellen Priorität haben soll. Danach sind die Gefahren einer Ansteckung und Verbreitung des Virus durch baustellenspezifische Regelung soweit wie möglich zu minimieren. Die deutsche Baustellenverordnung (BaustellV) verpflichtet hierbei die Bauherren - was in nicht seltenen Fällen auf privaten Baustellen verkannt wird - für jegliche Baustellen, auf denen Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig werden, sowohl für die Planung der Ausführung als auch für die Ausführung des Bauvorhabens einen, ggf. auch mehrere, Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren (SiGeko) zu bestellen. Andernfalls drohen Bußgelder bis zu 5.000 Euro und hohe Haftungsrisiken.
Anpassungsverpflichtung des bestehenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan
Nach § 3 Abs. 3, Nr. 3 der BaustellenV hat der SiGeko im Rahmen seiner Koordinierungspflichten den für die Baustelle bestehenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan „bei erheblichen Änderungen in der Ausführung des Bauvorhabens anzupassen“. Danach kommt dem Sicherheits- und Gesundheitskoordinator dieser Tage noch höhere Bedeutung im Grundstücks- und Immobilienrecht zu als ohnehin. Der jeweilige Bauherr selbst wird durch die von ihm erfolgte Beauftragung geeigneter Koordinatoren nicht von seiner Verantwortung entbunden. Der Bauherr muss daher sicherstellen, dass der beauftragte SiGeko entsprechend tätig wird. Architekten und Bauleiter haben dazu wiederum eine Hinweisverpflichtung an den Bauherren. Letztere sollte zur Haftungsrisikominimierung schriftlich erfolgen.
Bauablaufstörungen
Nach den Vorstellungen der Ministerien sollen die staatlichen Baustellen also unter o.g. Gesundheitspräventionen weiter betrieben und nur dann eingestellt werden, „wenn behördliche Maßnahmen diese zwingend untersagen“. Wann dies allerdings tatsächlich „zwingend“ konkret der Fall ist, wird in dem Rundschreiben nicht abschließend benannt und Bedarf daher stets einer tatsächlichen und rechtlichen Einzelfallprüfung.
Corona-Pandemie als „höhere Gewalt“ und die rechtlichen Folgen für den Auftraggeber und Auftragnehmer
Die Corona-Pandemie ist grundsätzlich geeignet, den Tatbestand der höheren Gewalt im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/B auszulösen. Höhere Gewalt ist definiert als ein unvorhersehbares, von außen einwirkendes Ereignis, das auch durch äußerste, nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt wirtschaftlich vertretbar nicht abgewendet werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit hinzunehmen ist.
Positive Folgen zugunsten des Auftragnehmers
Rechtlich genügt dabei allerdings seitens des Auftragnehmers nicht ein bloß allgemeiner Hinweis auf die Corona-Pandemie oder gar eine rein vorsorgliche Arbeitseinstellung wegen der Corona-Pandemie den Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der höheren Gewalt nicht. Es besteht nach § 6 Abs. 1 VOB/B die Pflicht des Unternehmers zu einer rechtlich ausreichend konkreten, schriftlichen Bedenkenanmeldung an den Auftraggeber. Nur dann treten die vom Bauunternehmer gewünschten Rechtsfolgen wie Fristverlängerungen, Freiwerden von Vertragsstrafen ein und es entstehen gegen ihn keine Schadens- oder Entschädigungsansprüche. Etwaige Zulieferschwierigkeiten sind dabei unter Alternativangebot im Rahmen der Behinderungsanzeige konkret darzulegen. Dies gilt auch bei etwaigen betriebsinternen Störungen des Auftragnehmers durch Krankheitsfälle oder Quarantänemaßnahmen.
Positive Folgen zugunsten des Auftraggebers – kein Anspruch des Unternehmers auf Entschädigung gem. § 642 BGB?
Nach den Ansichten der benannten Rundschreiben der Ministerien soll auch der Auftraggeber aufgrund der Corona-Pandemie als „höhere Gewalt“ nicht in Annahmeverzug gegenüber dem Auftragnehmer kommen, da die Voraussetzungen des § 642 BGB zugunsten des Auftragnehmer nicht vorliegen würden. Dieser Hinweis erfolgt unter Verweis auf das BGH-Urteil vom 20.4.2017, AZ VII ZR 194/13 zur Frage von „außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen“, welches auf die aktuelle Situation übertragbar seien. Dies soll insbesondere auch für Fallkonstellationen gelten, in denen ein Vorgewerk aufgrund höherer Gewalt nicht rechtzeitig vom Auftraggeber erbracht werden kann und nun der nachfolgende Unternehmer deswegen Ansprüche wegen Behinderung gegen den Auftraggeber erhebt.
Ob diese Rechtsansicht der Ministerien korrekt ist, werden dazu ggf. die Gerichte klären müssen. Tatsächlich stellt der Entschädigungsanspruch des Unternehmers nach § 642 BGB nämlich auf die Pflicht des Auftraggebers zu seiner vertraglich bestehenden Mitwirkungshandlung ab. Nach ständiger Rechtsprechung im Grundstücks- und Immobilienrecht hat nämlich Auftraggeber als Besteller in der Regel dem Unternehmer das Grundstück oder aber die Vorunternehmerleistung als erforderliche Mitwirkung bereit zu stellen hat. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB weiterhin verschuldensunabhängig, d.h. es kommt nach dem Gesetz nicht darauf an, ob ein Verschulden des Auftraggebers besteht oder nicht. Unternehmen sollten daher bei behördlichen Verfügungen zur Schließung der Baustelle wegen der Corona-Krise ihre unnütz bereitgestellten und vorgehaltenen Produktionsmittel zu einer evtl. späteren Entschädigungsberechnung und Nachweisführung dokumentieren (vgl. Urteil BGH-Urteil v. 30.01.2020, AZ VII ZR 33/19).
BGB-Bauvertrag
Im gesetzlichen Bauvertragsrecht (BGB) gibt es keine dem § 6 VOB/B entsprechende Vorschrift zur Verlängerung der Ausführungsfristen. Gem. § 286 IV BGB kommt der Auftragnehmer jedoch nicht in Verzug, solange seine Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Nach § 276 I, S. 1 BGB hat der Unternehmer nur Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Die benannte „höhere Gewalt“ schließt dabei jegliche Fahrlässigkeit des Unternehmers aus. Damit ist zugleich auch die Haftung des Auftragnehmers auf Schadenersatzansprüche des Auftraggebers ausgeschlossen. Die o.g. rechtlichen Anmerkungen zur Behinderungsanzeige beim VOB/B-Vertrag gelten nach der Rechtsprechung auch beim BGB-Bauvertrag.
Ansprüche von Architekten und Ingenieurenwegen erhöhtem Koordinierungsaufwand auf Seiten der Architekten und Ingenieuren
Architekten- und Ingenieurverträge sind Werkverträge gem. §§ 650p ff. BGB. Es gelten daher die oben benannten Ausführungen zum BGB-Bauvertrag entsprechend. Aufgrund der werkvertraglich von Planerseite in der Regel übernommenen Verpflichtung zur Koordination und Terminplanerstellung wirft sich in Zeiten der Corona-Krise wohl auch die Frage nach einem erhöhten Honorar wegen erhöhtem Leistungsaufwand und der. Wiederholung von Grundleistungen auf. Dies soll nach einschlägiger Kommentarliteratur auch nach der Einführung des § 10 HOAI 2013 weiterhin - im jeweils zu prüfenden Einzelfall - dann möglich sein, wenn der anfallende Aufwand nicht unwesentlich ist. Ebenso ist an ein Anpassungsverlangung des vertraglichen Honorars wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB anzudenken. Gleiches gilt für die Aufgaben des SiGeko (Sicherheits- und Gesundheitskoordinator).
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Autor: Der Autor, Rechtsanwalt Thomas Schmitt, ist Partner der Kanzlei JuS Rechtsanwälte, Augsburg (www.jus-kanzlei.de). Er ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Schlichter nach SOBau des Deutschen Anwaltverein (DAV). Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren vornehmlich mit sämtlichen rechtlichen Fragen des Bau- und Architektenrechts sowie Grundstücks- und Immobilienrechts. Zudem ist Herr Rechtsanwalt Schmitt Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltsvereins (ARGE BauR).